Fotos Solingen-Verdächtiger-Aufenthalt wirft Fragen auf

Nach dem Attentat im deutschen Solingen wird über den Aufenthaltstitel des mutmaßlichen Täters debattiert. Eigentlich hätte der gebürtige Syrer aus Deutschland abgeschoben werden sollen, dazu kam es jedoch nicht. Der Mann reiste über Bulgarien in die EU ein, in Deutschland wurde sein Asylantrag abgelehnt. Doch die Überstellung zurück nach Bulgarien funktionierte nicht – das komme oft vor, wie es von deutschen Behörden am Montag hieß.
Der spätere Tatverdächtige von Solingen hat die Frist für seine Überstellung nach Bulgarien nach Einschätzungen aus Behördenkreisen wohl gezielt verstreichen lassen. Der heute 26-jährige Syrer kam am 25. Dezember 2022 nach Deutschland. Für sein Asylverfahren zuständig war nach den europäischen Dublin-Regeln aber Bulgarien. Bulgarien habe dieser Rückführung sehr schnell zugestimmt, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Montag in Berlin.
Ein erster Versuch, den Mann nach Bulgarien zurückzuschicken, scheiterte am 3. Juni 2023, die Behörden trafen ihn in seiner Unterkunft in Paderborn nicht an. Normalerweise müssten dann weitere Versuche folgen. Die zuständige Behörde müsste versuchen festzustellen, ob jemand möglicherweise untergetaucht sei. Auch ein Haftbefehl könnte ausgestellt werden.
Frist für Überstellung wurde nicht verlängert
Wenn einmal offiziell festgestellt ist, dass jemand untergetaucht ist, kann die normalerweise sechsmonatige Frist für eine Dublin-Überstellung – also eine Abschiebung in ein anderes zuständiges europäisches Land – um zusätzliche zwölf Monate verlängert werden. Das geschah im Fall des Solingen-Verdächtigen aber nicht. Die ursprüngliche Sechsmonatsfrist lief den Angaben zufolge am 20. August ab. Wenige Tage später habe der Mann über seine Anwältin Kontakt zum Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aufgenommen. Später wechselte er von der Flüchtlingsunterkunft in Paderborn nach Solingen.
Nun fordert auch die Politik eine Untersuchung, wie es dazu kommen konnte, dass die Überstellung nach Bulgarien nicht stattfand. Hendrik Wüst, CDU-Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, sagte: „Wir müssen schauen, ob alles richtig gelaufen ist. Wenn etwas schiefgelaufen ist, muss das klar benannt werden.“

Wüst (zweiter von links) gedachte mit anderen Politikern in Solingen der Opfer des Attentats
Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb, dass die Behörden „öfter und intensiver“ nach dem Verdächtigen hätten suchen müssen. So wäre er entweder gefunden worden und hätte entsprechend nach Bulgarien überstellt werden können. Oder er hätte als „flüchtig“ gegolten, und es hätte eine längere Frist für die Überstellung gegeben.
Nicht erfolgte Abschiebung als Normalfall
Das für Flucht und Integration zuständige Ministerium im Bundesland Nordrhein-Westfalen machte zu möglichen Versäumnissen auf dpa-Nachfrage am Montagnachmittag keine Angaben. Dass es nicht zur Überstellung kam, ist aber offenbar nicht die Ausnahme. Denn die meisten von Deutschland beantragten Überstellungen von Asylwerberinnen und -werbern in andere EU-Staaten werden nicht vollzogen. Das gilt in der Mehrheit der Fälle auch, wenn das angefragte Empfängerland der Aufnahme zugestimmt hat, so eine Sprecherin des deutschen Innenministeriums am Montag
Gründe dafür nannte die Sprecherin nicht, allerdings liegt die Zuständigkeit für die Überstellungen in Deutschland vorwiegend bei den Bundesländern. Den Zahlen des Ministeriums zufolge wurden im ersten Halbjahr 2024 insgesamt 36.795 Übernahmeersuchen bei anderen EU-Staaten gestellt. 12.808 der Gesuche seien von den angefragten Staaten abgelehnt worden, in 21.314 Fällen sei dem Gesuch zugestimmt worden. Tatsächlich erfolgt seien im laufenden Jahr bis Ende Juni aber lediglich 3.043 Überstellungen.
Im Gesamtjahr 2023 gab es laut Innenministerium 74.622 solcher Übernahmeersuchen von Deutschland an andere EU-Staaten. Davon seien 22.462 abgelehnt worden, in 55.728 Fällen gab es eine Zustimmung der Übernahme. Erfolgt seien 5.053 Überstellungen.
Offenbar falsche Angaben in Asylverfahren
Der Tatverdächtige von Solingen soll in seinem Asylverfahren falsche Angaben gemacht haben. Nach Informationen von WDR und NDR habe sich der 26-Jährige auf einen Verwandten in Deutschland berufen, der Grund für seine Einreise sei, berichtete die ARD am Montag. Eine solche Person sei aber nie festgestellt worden. Als Asylgrund habe der Mann angegeben, in Syrien drohe ihm der Wehrdienst und zudem eine Strafe, weil er sich dem durch seine Flucht habe entziehen wollen.
Deutscher Kanzler fordert Verschärfungen
In der deutschen Regierung gibt es nun Forderungen nach einer Verschärfung der Gesetze. „Wütend“ und „zornig“ zeigte sich der deutsche Kanzler Olaf Scholz (SPD) bei seinem Besuch in Solingen am Montag: „Das war Terrorismus gegen uns alle.“ Er kündigte eine Verschärfung des Waffenrechts und mehr Abschiebungen an. Die Opposition forderte allerdings noch mehr.
Scholz hatte bereits im Juni angekündigt, die Abschiebung von Schwerstkriminellen und terroristischen Gefährdern nach Afghanistan und Syrien wieder zu ermöglichen. Die Opposition forderte weitere Maßnahmen, die über die Ankündigungen von Scholz hinausgehen. Unionsfraktionsvize Jens Spahn (CDU) sprach sich für Grenzschließungen für irreguläre Migranten und Migrantinnen aus. CDU-Chef Friedrich Merz plädierte eine Woche vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen für einen vollständigen Aufnahmestopp für Syrer und Afghanen. Nicht die Messer seien das Problem, „sondern die Personen, die damit herumlaufen“.